„Sommertag“ sagt die Ältere, „genau wie damals“. Doch damals war Herbst und es regnete. Damals, als Asle verschwand.
Worauf wartet sie seit Jahren, allein, in ihrem weißen Haus am norwegischen Fjord? Aus ihrem Fenster blickt sie der Freundin nach, die zum Meer geht, genau wie Asle damals. Der Anblick durchbricht ihre Starre und sie erinnert sich an den Tag, an dem Asle, ihr Mann, zum Meer ging und sie, als junge Frau, am Fenster zurückblieb. Es begegnen sich junge und alte Frau – es geschieht das Damals als wäre heute und die Ältere sieht sich ihrem jungen Selbst gegenüber. Wieder und wieder betrachtet sie die Vergangenheit, die sie aus ihren Gedanken formt bis zu dem Tag, als Asle zum Wasser ging und nicht mehr wiederkehrte.
Doch im Heute kehrt die Freundin zurück. Kann die Ältere ihr nun endlich ins Leben folgen oder bleibt sie in ihrem weißen Haus am Fjord, allein, am Fenster aufs Meer blickend, wartend?
Jon Fosse, 1959 geboren in der norwegischen Küstenstadt Haugesund, lebt in Bergen. Dozent an der Akademie für kreatives Schreiben in Hordaland, ist er seit Anfang der neunziger Jahre freier Schriftsteller.
Der norwegische Autor Jon Fosse wurde durch mehr als 30 Theaterstücke international bekannt. Sein literarisches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bereits 2004 hatte der Regisseur Stefan Vincent Schmidt Fosses Stück „Winter“ für das Rosenheimer TAM OST inszeniert. Nun brachte er dort mit „Sommertag“ wieder ein Bühnenwerk des Autors zur Aufführung.
Optisch bestechend zeigt das Bühnenbild (Stefan V. Schmidt und Klaus Lüders) zur linken Seite zwei große, hintereinander versetzte Fensterrahmen. Feine dünne Schnüre ersetzen die Fensterscheiben. Ein Laufsteg in leichter Schräge führt linker Hand als Weg ins Off. Rechts stehen Stühle, überzogen mit weißen Hussen. In präziser Choreografie agieren die Figuren innerhalb dieser Kulisse.
Die Handlung bewegt sich zwischen dem Gestern und Heute. Gefiltert durch die Augen der Ich-Erzählerin erfahren die Zuschauer von vergangenen Geschehnissen, die sie im Jetzt reflektiert. Wie damals erwartet die Frau den Besuch ihrer Freundin. Als wäre es gestern gewesen, erinnert sie sich an diesen Tag, der kein Sommer- sondern ein Herbsttag gewesen ist. Wieder steht sie am Fenster und blickt auf den Fjord. „Willst du denn immer da stehen, kriegst du das denn nie satt?“, frägt die Freundin. Sie kann sie auch nicht zu einem Spaziergang ans Wasser bewegen.
Sabine Herrberg in der Rolle der älteren Frau geht in ihrem Erzählen zurück in das Damals, und Claudia Loy zeigt das Geschehen in der Figur der jüngeren Frau. Damals als ihr Mann Asle (Florian Fuchs) wie jeden Tag zum Wasser ging.
Wieder steht der Disput von damals vor ihren Augen auf. Die junge Frau, die nicht verstehen will und kann, warum ihr Mann zu Hause keine Ruhe findet. Er wollte doch auch von der Stadt aufs Land ziehen. Sie waren doch glücklich, das schöne weiße Haus am Fjord gefunden zu haben. Er liebt es, auf dem Wasser in seinem Boot zu sein. Sie aber hat Angst auf dem Wasser und fühlt sich dort nicht wohl.
Mag Asle nicht mehr mit seiner Frau zusammen sein? Immer wieder stellt sie ihm diese Frage, doch Asle weicht aus, beschwichtigt, und Florian Fuchs verleiht diesem jungen Mann in seiner Unsicherheit, Bedrücktheit, Ruhelosigkeit glaubwürdig Ausdruck. Sie bittet ihn, heute nicht aufs Wasser zu gehen und bittet ihn wiederum, doch zu gehen, als sie seine schlechte Stimmung wahrnimmt.
Gleich darauf erfasst sie aber wachsende Unruhe, war es richtig, ihn gehen zu lassen? Warum hat er seine Sachen so genau geordnet? Unendliche Trauer erfüllt sie bei diesem Anblick, und Claudia Loy spiegelt die Gefühle von Unruhe, Angst, Trauer in wunderbar verhaltener Mimik, in kleinster Gestik der Hände wider.
Faszinierend ist es zu erleben, wie Sabine Herrberg als ältere Frau all diese Gefühle in ihrer Erinnerung ebenso erlebt und erleidet. Fast rhythmisch gesetzt sind die Pausen zwischen dem karg poetischen Text mit seinen vielen Wiederholungsschleifen. Im Wechsel zwischen dem Damals und dem Jetzt und in sensibler Lichtführung begegnen sich die ältere und die jüngere Frau. Ohne jegliche Effekthascherei nimmt dieser reduzierte äußere Handlungsablauf von Beginn an gefangen durch das Aufzeigen der inneren Befindlichkeiten der Darsteller. In Gegenüberstellung erlebt man den Besuch der Freundin (Angelika Sewald-Löffelmann) im Heute und in der Vergangenheit (Jutta Schmidt) mit Oliver Männer als ihrem Mann.
Mit hervorragendem Rhythmusgefühl der Sprechweisen und psychologischem Feingefühl inszenierte Stefan Vincent Schmidt dieses Kammerspiel. Seine Schauspieler, allen voran Sabine Herrberg und Claudia Loy, begeistern in der hervorragenden Umsetzung der Figuren. Da stimmt jedes kleinste Agieren, jedes Verhaltensein, jede äußere Starre, jedes Aufbrechen daraus. Die Frau kann auch im Heute nicht begreifen, warum Asle damals verschwand und sie wird weiter am Fenster stehen, gefangen in der Vergangenheit, als man Asles Boot ohne ihn gefunden hatte.
Dieser anspruchsvolle und hochwertige Theaterabend beeindruckte nachhaltig.
Donnerstags von 16 – 19 Uhr ist Frau Gabi Tachakor für Sie da
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