So inszeniert Regisseur Andreas von Studnitz die groteske Komödie „Die Affäre Rue de Lourcine“ am Theater Tam Ost in Rosenheim.
Von: Rainer W. Janka
Es ist wohl eines der kürzesten Theaterstücke, das jemals im Tam Ost gespielt wurde: Nach einer Stunde ist alles vorbei. „Alles“ heißt aber: große Angst vor Verlust aller bürgerlicher Behaglichkeit, Angst, ins Gefängnis zu müssen oder gar hingerichtet zu werden, deswegen groteske Rettungsversuche bis hin zum dreifachen Mordversuch, um einen Mord zu vertuschen.
Feuchtfröhliches Klassentreffen
Was ist passiert? Nach einem feuchtfröhlichen Klassentreffen erwacht Monsieur Lenglumé neben dem Mitschüler Mistingue, den er gar nicht mehr kennt. Aus der Zeitung erfahren sie, dass in der vergangenen Nacht, an die sie sich nicht mehr erinnern können, ein Kohlenmädchen umgebracht worden ist: Waren das etwa sie beide?
Indizien wie ein am Tatort vergessener Schirm und Kohlenstaub an ihren Händen, der wie das Blut bei Macbeth durch Abwaschen nicht weggeht, legen es nahe.
Damit das nicht herauskommt, müssen sie alles vor der Ehefrau ableugnen und alle eventuellen Zeugen beseitigen. Eugène Marine Labiche, Albert Monnier und Èdouard Martin haben daraus eine groteske Posse gestrickt, deren Witz darin liegt, dass die Zuschauer wissen, was die Figuren nicht wissen.
Das Groteske gesteigert
Der Regisseur Andreas von Studnitz hat das Groteske der Situation noch gesteigert: Alle Figuren sind in laut raschelnde knallbunte Papierkostüme gekleidet (Kostüme: Elke Drewing und Elaine Herrmann), grell geschminkt und mit schrulligen Perücken geschmückt.
Darüber hinaus treten sie seltsam verkürzt auf: Die Schuhe sitzen an den Knien, so dass man meint, alle rutschten unterschenkellos auf den Knien. Die Schuhe sitzen auf der Rampe auf, auch der Raum ist hinten verkürzt: Alle werden von der Situation bedrängt und an die Rampe gestellt, gleichsam ausgestellt. So reden die Figuren auch oft an die Zuschauer hin.
Die aus der Ausgangssituation entstehende Komik wird also noch intensiviert durch Komik der Person. Es ist keine schenkelklopfende Komik - obwohl die Premierenbesucher oft schallend lachen -, sondern gleichsam eine Komik der zweiten Ebene. All dies erfordert von den Schauspielern viel Körperlichkeit, ausgestelltes gestisches, bisweilen pantomimisches Spiel und sprechende Mimik – zumal es gar keine Requisiten gibt.
Rülpsende Kotzbrockigkeit
Den Diener Justin spielt Maximilian Weidinger mit tiefschwarzem Bass als immer angeödet und gelangweilt bis frechdreist. Lenglumés Ehefrau Norin (Sonja Rupp) hört man den bairischen Tonfall an, sie spitzt immer wieder mokant den hochrot geschminkten Mund, dürfte aber noch nervend-schneidender sprechen. Im Gesicht von Christian Swoboda, der Lenglumé spielt, malen sich alle überraschten, verzweifelten und tolldreisten Gefühle ab.
Tobi Huber gibt seinem Mistinque alle rüpelhafte und rülpsende Kotzbrockigkeit, kratzt sich ausgiebig nicht nur die Achselhöhlen, sondern auch in der Leistengegend, säuft und rumort ausgiebig herum. Beide umtanzen sich oft behände, wenn sie sich parallel bewegen oder gar umarmen. Am besten arbeitet mit genau dosierter Sprache und Mimik Gerd Meiser als Cousin von Madame Lenglumé: Sorgsam variiert er seine Sprachmelodie und den Sprachklang, vielfältig legt er seine Miene in ausdrucksstarke Falten. Bei aller Verfremdung, Stilisierung und Verhölzerung entsteht hier ein gleichsam theatralisiertes Theater: Andreas von Studnitz hat das Spiel der Tam-Ost-Theaterspieler auf eine andere Ebene gehoben, es intensiviert, gesteigert und verfeinert.
Auf eine andere Ebene gehoben
Aufgeführt wird das Stück noch bis zum 2. April immer am Wochenende, Beginn 20 Uhr. Karten gibt es über die Website www.tam-ost.de, bei SKIN GARDEN in der Nikolaistraße 6 in Rosenheim, persönlich jeden Donnerstag von 16 bis 19 Uhr im Theaterbüro in der Chiemseestraße 31 in Rosenheim und an der Abendkasse.