Der pensionierte Professor Serebrjakow kehrt mit seiner zweiten Frau Jelena Andrejewna auf das Landgut seiner ersten, bereits verstorbenen Frau zurück, welches seit vielen Jahren von Wanja, dem Bruder der ersten Gattin, sowie Sonja, der Tochter des Professors aus erster Ehe, bewirtschaftet wird. Nicht, dass sich der Professor a.D. nach dem ruhigen Landleben sehnen würde, ihm fehlen nur schlicht und ergreifend die finanziellen Mittel für ein Leben in der Stadt. Zurück in der entzückenden Natur sieht er sich nun von Banausen umgeben, wo er doch sein ganzes Leben im Dienste der Wissenschaft zugebracht hat.
Die schöne Jelena, die junge Frau des Greises, verdreht nicht nur Wanja den Kopf, sondern auch dem Wald und Wodka liebenden Arzt Astrow, der wiederum Objekt Sonjas Begierde ist. Wanjas Mutter Maria geht ganz in ihrer Bewunderung des kränkelnden und verbitterten Professors auf, Marina und Teljegin fristen ihr Dasein als stete Beobachter der langweiligen Szenerie, und Wanja – tja Wanja, der hat jede sich ihm bietende Chance im Leben konsequent vorbeiziehen lassen. Nun, mit Mitte vierzig, wäre es doch eigentlich an der Zeit, das zu ändern…
Die Figuren dieses Stücks, allesamt Neurotiker, Sinnsuchende und an eben diesem Sinn des Lebens Verzweifelnde, bilden zahlreiche komische wie tragische Konstellationen, ehrliche wie absurde Momente. Herrlich spannend, wie sie versuchen der Leere und Langeweile ihres Lebens zu entgehen, und herrlich lächerlich, wie sie bei diesem Versuch scheitern.
Wenn “Sin City” auf Tschechow trifft, dann brennt die Bühne lichterloh – hab ich mir im Vorfeld der neuen TAM-OST-Inszenierung gedacht. Warum sonst sollte das Stück mit den adaptierten Kino-Plakaten werben? Das knallharte Hardboiled-Comic (respektive seine Verfilmung) und russisches Theater, das riecht nach Sex, Schnaps & Tod in Moll. Regisseurin Claudia Loy entfacht zwar bloß Glut statt Flammen, so ein Schwelbrand kann aber auch ganz schön ins Schwitzen bringen…
“Das soll Sin City sein?”, habe ich mich schon nach 30 Sekunden gefragt. Länger benötigen Loy (und Assistentin Cornelia Maschner) nicht, um einen bleischweren Mantel gähnender Langeweile über das Publikum zu breiten. Langeweile allerdings, die sie schnell mit Spannung aufladen, mit angestauten Aggressionen vollpumpen wie einen Ballon mit Luft – der bald zu platzen droht. Obwohl im Grunde nichts, rein gar nichts passiert in diesem Reigen handlungsunfähiger Figuren, die uns, das Publikum, fast zu beckettschen Beobachtern machen. So sicher wie Godot nicht kommt, lässt Tschechow nichts geschehen…
Wir sehen das vom Namensgeber des Stücks, “Onkel Wanja” (fantastisch verzweifelt: Stefan Hanus), bewirtschaftete Landgut, und es herrscht eine Atmosphäre wie in einem Sommerlager für Erwachsene. Die Bewohner machen die Nacht zum Tag, pennen bis mittags, und betäuben ihren Stumpfsinn mit Schnaps. Saufen und schwitzen, sonst gibt es nichts zu tun, seit sich der pensionierte Professor Serebrjakow (ewig grummelnd: Hermann Kunz) und seine zweite Frau Jelena in der Latifundie der verstorbenen, ersten Gattin eingenistet haben. Das Stadtleben war ihnen zu teuer geworden.
Diese Jelena ist es, die unfreiwillig Bewegung ins Betulich-Beschauliche bringt. Susanne Braune spielt eine Sexbombe mit offensiven Brüsten, die sich ihrer Reize jedoch gar nicht bewusst zu sein scheint. Wegen der Kohle wird sie den greisen Gatten kaum geheiratet haben – das ist keine vom Kaliber einer Anna Nicole Smith. Dafür sorgt sie sich zu ehrlich um den quengeligen Alten. Onkel Wanja verknallt sich sofort in das Weib, kriegt aber einen gesalzenen Korb. Zu dem Zeitpunkt ist klar, wie Loy auf Sin City kam. Diese fiktive Stadt strotzt ja nicht nur vor Gewalt – die Sünde gab ihr ihren Namen, und Sünde schleicht sich auch ins Stück, schwelt unterschwellig ständig mit, wenn Jelena auf Astrow trifft, wenn Wanja ihr an den Busen will oder dem Professor an die Gurgel…
Alexander Schoenhoff ist jener Landarzt Astrow, der mit der Schnarchnase aus dem ZDF nicht viel gemeinsam hat. Schoenhoff gibt den Kerl so saucool, kein Wunder dass Sonja, Professorentochter aus erster Ehe, total auf ihn steht. Sonja ist eine echte Unschuld vom Lande, so abgrundtief ehrlich und rechtschaffen, dass sich vor Demut die Balken biegen. Klar, dass Astrow kein Auge übrig hat für die graue Maus (glänzend gespielt von Jutta Schmidt) – sondern wie Wanja eins auf Jelena werfen wird…
Und so schwelt die verbotene Liebe, und so schwillt die Lust, und so steuert alles auf die Katastrophe zu, als der hypochondrische Professor das Gut verkaufen und Onkel Wanja ihn dafür töten will. Der zieht sogar eine Knarre – ein Moment echter Action – doch Tschechow haut sofort die Bremse rein. Der Russe war ein Mann der leisen Töne. Wanja ballert vorbei. Es kommt zu keinem Orgasmus, Entladung ist Fehlanzeige, die Handlung macht den Coitus interruptus, das Landvolk findet zurück in seine verfluchte Passivität. Friede, Trauer, Waffelkuchen, lautet das unbefriedigende Ende – für das weder die mutige Regisseurin, noch das spielfreudige Ensemble was kann. Die beweisen mit ihrer Inszenierung vielmehr, wie spannend pure Ödnis sein kann.
In weiteren Rollen: Inge Gfrörer-Kötschau, Herbert Prechtl und Renate M. Mayer.
Letztere hat eine zauberhafte Anekdote am Rande anzumerken: Der orangefarbene Umhang, den sie als Kinderfrau trägt, ist fast genau so alt wie das Stück. Mayers Großmutter, eine geborene Leokadia von Tarkowska, habe ihn sich als junges Mädchen gehäkelt, so um 1890. Das Stück erschien 1886. Mayer hat ihre Großmutter nicht mehr kennengelernt. “Aber nach allem, was ich von ihr gehört habe, glaube ich, dass sie große Freude daran hätte, ihren alten Umhang noch immer auf einer Bühne zu wissen”, erzählt die Grand Dame des TAM OST. Und deshalb sei es kein schlechtes Gefühl, den alten Umhang zu tragen. Auch, wenn Mayer manchmal irgendwo hängen bleibe…
OVB 28.09.2011, Kritik von Margit Jacobi
Verzweiflung und Komik
Die Werke von Tschechow besitzen eine Komik, die Lachen macht und durch dieses Lachen den Verzweiflungs- schmerz des Scheiterns noch vertieft. In „Onkel Wanja“, das im Theater am Markt in Rosenheim Première feierte, leben die Protagonisten auf einem Landgut in ohnmächtiger Langeweile und gehen sich gegenseitig auf die Nerven. Regisseurin Claudia Loy gelang es überzeugend, die deprimierende Atmosphäre der Lethargie und des Stillstands, aber auch die kläglichen Versuche des Aufbäumens gegenüber dem Professor, der seine Verwandtschaft jahrzehntelang nur ausgebeutet hat, auf die Bühne zu bringen.
Klug angeordnet war bereits das sparsame Bühnenbild mit den im Halbkreis aufgestellten Sitzhockern, deren gleicher Abstand voneinander augenfällig die Hilflosigkeit und Isolation der Menschen zeigte. Stefan Hanus als Onkel Wanja spielte glaubwürdig den lamentierenden Zyniker, der die junge Frau des Professors anbetet, sich theatralisch gegen ihn auflehnt, aber nicht die Kraft findet, ein nützliches, sinnvolles Leben zu führen. Seine Wutausbrüche wirkten echt, sein Werben um die Gunst der jungen Jelena war von verzweifelter Komik.
Voller nüchterner Melancholie verkörperte Alexander Schoenhoff den Landarzt, der Bäume pflanzt, um den Wald zu retten und über den Stumpfsinn des Landlebens verbittert ist. Gleich in der ersten Szene, dem Gespräch mit der von Renate M. Mayer anrührend gespielten, warmherzig schlichten Kinderfrau Marina war es immer wieder das beredte Schweigen, das den Zuhörer ergriff und nachdenklich machte.
Sanftheit, Sensibilität und melancholische Anmut strahlte die junge Sonja aus, deren Rolle Jutta Schmidt auf den Leib geschneidert zu sein schien. Ihre keusche Liebe zu Astrow war voller Unschuld, ihre Hoffnung auf ein nützliches Dasein im Jenseits am Schluss des Stückes offenbarte die hoffnungslose Lebenswirklichkeit auf dem Landgut.
Hermann Kunz als Professor, unter dem die ganze Verwandtschaft leidet, fehlte hingegen die tyrannische Unerbittlichkeit. Mit Stock und Mantel wirkte er als Zielscheibe aufgestauten Zorns auch stimmlich eher hilflos und bemitleidenswert. Seiner kühlen Gattin Jelena (Susanne Braune) nahm man die leidenschaftlichen Annäherungsversuche an Astrow nicht ganz ab, auch die energische Zurückweisung ihres Verehrers Wanja wirkte etwas gespielt. Herbert Prechtl als bäuerlich-tölpelhafter Teljegin und Inge Gförer-Kötschau als Marja vervollständigten den illustren Kreis der Gutsbewohner.
Wehmütige Klaviermusik, die die einzelnen Akte einführte, und die stimmige Kostümierung schufen den passenden Rahmen für das Bild einer Gesellschaft, die sich vor lauter Langeweile selbst nur noch zur Last fällt. Das Publikum spendete dem Ensemble am Ende wohlverdienten, anhaltenden Applaus.
Echo 09.2011, von Margit Jacobi
„Szenen aus dem Landleben“
Anton Tschechows „Onkel Wanja“ im TAM OST
Als Anton Tschechows Schauspiel „Onkel Wanja“ 1889 damals noch unter dem Titel „Der Waldschrat“ aufgeführt wurde, fand es eine kühle Aufnahme. Daraufhin arbeitete der Dramatiker das Stück völlig um und konnte sich ein Jahr später im Moskauer Künstlertheater über den großen Erfolg freuen. Regisseurin Claudia Loy hat das Schauspiel nach der Sommerpause für das Theater am Markt im TAM OST inszeniert und sich dazu eine Reihe ausgezeichneter und bühnenerfahrener Schauspieler aus dem Ensemble in stimmiger Besetzung erwählt. In ihrer Einlassung „Tschechow ernst nehmen oder Tschechow den Ernst nehmen?“ im Programmheft spricht die Regisseurin vor allem den Spielraum für die Inszenierung und dadurch des Weiteren für die Schauspieler an. In beiden Fällen wurde diese Vorgabe gut genutzt. Was die erwünschte Komik für das Publikum angeht, so erspürten die Premierenbesucher dank sensibler Regie und authentischer Umsetzung der Figuren durch die Schauspieler sehr wohl die Tragik des Stückes, in der es zwar komische Momente gibt, hauptsächlich aber um nicht gelebtes Leben geht.
„Eintönigkeit des Lebens“
Die sparsam ausgestattete, gleichbleibende Kulisse spiegelt die Eintönigkeit des Lebens der Menschen auf diesem Landgut wider. Der pensionierte Professor Serebrjakow kehrt, da er ein Leben in der russischen Metropole nicht mehr finanzieren kann, auf den Besitz seiner ersten, bereits verstorbenen Frau zurück. Alt, krank und despotisch tyrannisiert er seine Umwelt, an seiner Seite langweilt sich seine zweite Frau, die junge schöne Jelena. Seine Tochter Sonja aus erster Ehe und sein Schwager Wanja bewirtschaften das Gut seit Jahren und gönnen sich nichts, nur um den erfolglosen und egoistischen Professor auszuhalten.
Seine Schwiegermutter aus erster Ehe vergöttert ihn, alle fügen sich in hoffnungsloser Stimmung seinen Launen und seiner Hypochondrie. Langeweile, Selbstbetrug und Trostlosigkeit legen sich wie ein grauer Schleier auf die Personen um ihn. Nur Marina Timofejewna, der Renate M. Mayer echte Liebenswürdigkeit und Empathie verleiht, versucht ausgleichend und beruhigend ruhender Pol zu sein. Hermann Kunz gibt der Verbitterung, der Überheblichkeit des dünkelhaften Professors gelungen Ausdruck. Susanne Braune in der Rolle seiner Gattin Jelena ist schön, zu Tode gelangweilt und träge. Einem Flirt mit dem Arzt und Umweltschützer Michail Astrow ist sie nicht abgeneigt, ihre Reize setzt sie verführerisch in Szene. Der Arzt kommt zwar fast täglich in das Gut, um sie zu sehen und bringt etwas Bewegung ins dortige Einerlei, doch ist er nicht fähig zu lieben. Er verabscheut das Spießerleben auf dem Lande.
Alexander Schoenhoff lässt die rettungslose Einsamkeit dieses Trinkers sichtbar werden. Er bemerkt nicht die rührende Verliebtheit von Sonja, dem jungen Mädchen, das Jutta Schmidt mit wunderbarer Vielfalt ihrer Emotionen überaus feinfühlig verkörpert. Sie ist schüchtern und sanft, hoffnungsvoll und zutiefst betrübt. Ihrem Onkel Wanja ist sie von Herzen zugetan, beide verbindet ein ungelebtes Leben. Stefan Hanus ist dieser Wanja mit Leib und Seele. Wut und Verachtung empfindet er für den Professor. Jelena, die er ständig provoziert, würde er gerne besitzen. Trauer ob seiner vergeudeten Chancen, seiner nie gelebten Gefühle, erfüllt ihn. Scham, versagt zu haben, als er den Professor erschießen wollte, drückt ihn nieder. Er explodiert wie in Ekstase und fällt in sich zurück in stummer Verzweiflung. Herbert Prechtl spielt den infantilen Ilja Teljegin als braven Gnadenbrotesser, Inge Gfrörer-Kötschau gibt eine herbe Marja Wassiljewna.
Zwar reist der Professor mit Jelena nach dem Eklat ab, doch wird sich am Leben der Zurückbleibenden nichts ändern. „Wir werden in Demut sterben und dann werden wir ausruhen“ tröstet am Ende Sonja ihren Onkel.
Donnerstags von 16 – 19 Uhr ist Frau Gabi Tachakor für Sie da
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