FRECH, ÄSTHETISCH UND SEHR UNTERHALTSAM
Die „Kalendergirls TAM-OST“ erobern das Premierenpublikum im Sturm.
Schrill? Provokant? Feministisch? Kaum. Vielmehr witzig, turbulent und mit einer bekömmlichen Dosis Erotik.
Um was geht’s? Gelangweilte Frauen versuchen trotz der Ödnis im Club sich durch Vorträge, Tai-Chi oder Yoga bei Laune zu halten. Jedes Jahr wird ein Kalender kreiert (mit so prickelnden Themen wie „Brücken unserer Heimat“ etwa), dessen herzlich geringer Erlös einem guten Zweck zukommt. Doch jetzt soll’s ganz anders werden: „Nacktes Fleisch verkauft sich besser!“
Die „Kalender Girls“ preschen in die Offensive und machen sich selbst zum verkaufsfördernden Motiv. Die wahre Geschichte ereignete sich in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts in der englischen Provinz, kam als Theater und Musical auf die Bühne und als Film auf die Leinwand. Der offenbar hauseigen geschaffene Text lässt diese Story unter dem Titel „Kalendergirls TAM-OST“ in Rosenheim wieder auferstehen.
Was gibt solcher Stoff her fürs Theater, wenn im Grunde die Marschrichtung schon klar scheint? Regisseurin Gabriela Schmidt baute nicht nur auf das „Was“ der Handlung. Ihre Fantasie entzündete sich vor allem am „Wie“. Optische Kontraste sorgten für Überraschungen, (englisch) humorige Bonmots würzten die ausgefeilten Dialoge, und manche Passagen bekamen Farbe durch überspitzte Karikatur.
Zunächst: Die Damen im Vereinsheim treten an zu ihrer Gymnastik unter dem strengen Regiment von Chris (Birgit Schier). Immerhin scheint die Damen ein Wettbewerb zu beleben, aber trotz putziger Tier-Verkleidung werden die vorgegebenen Motti missverstanden. Die Situation wird absurd: Ausgerechnet eine gekaufte Torte gewinnt den Preis…
Da brodelt es bald nicht nur unter der Decke: Unlust, Eifersüchteleien und Aufmüpfigkeit machen sich breit – kurz: Zickenkrieg!
Doch die Hierarchie endet bei Chris noch nicht: Jetzt erscheint die „Chefin“ Marie (Gabi Tachakor), in Rock, Topfhütchen und bis oben zugeknöpfte Bluse gewandet wie eine humorfreie Gouvernante und versucht den Aufstand der Damen im Keim zu ersticken. Im Alleingang hat sie schon das Brücken-Thema für den Kalender entschieden.
Nun wird es ernst: Aktfotos heißt die Parole der Opposition! Da sind einmal die Draufgänger, die schon in der wilden Jugend nur mit BH bekleidet auf einer Harley Davidson sitzend fotografiert wurden. Die Ängstlichen zieren sich (nacktes Fleisch? Nur soviel als nötig, aber so wenig wie möglich!). Marie und Ihre Freundin Brenda (Ninette Sellmair) verweigern rigoros ihre Zustimmung und klinken sich aus. Das gewitzte Publikum ahnt natürlich, dass nach vielem Hin und Her ein harmonisches Happy End unumgänglich ist – schließlich hat das Team von TAM-OST diesen Kalender ja schon produziert und hält ihn zum Verkauf bereit. Das Theater von Annis (Siglinde Schöberl) verstorbenem Mann soll durch diese Finanzspritze weiterbestehen können. Ja, auch das TAM-OST ist ein kleines (und feines!) Theater und kann eine finanzielle Unterfütterung wohl gebrauchen…
Der Bezug zum TAM-OST wird nostalgisch verbrämt; als die Mädels im Kostümfundus nach passendem Fummel suchen, stoßen sie auf Klamotten, die sie an frühere Aufführungen erinnern: „Das rote Kleidchen, wisst ihr noch: Unser allererstes Stück „Seid nett zu Mr. Sloane!“
Marie und Brenda haben sich’s inzwischen anders überlegt und die Damen sind zum Foto-Shooting bereit. Fotograf Lorenz (Frank Magener) hält brav die Hand vor die Augen. Das Finale furioso kann beginnen. Wird es peinlich? Nicht nur der Reflektor, die große silberne Scheibe, tut sein gutes Werk. Und die Regie hat diese pikante Szene in ein wirbelndes Kaleidoskop (angedeuteter) weiblicher Reize verwandelt!
Alle Damen des Clubs durften individuelle Züge tragen, alle hatten ihre unverwechselbaren Auftritte, niemand war zur Statistin degradiert. Drum seien die bisher ungenannten Aktricen noch nachgetragen: Jessie (Silvia Hofmann), Celia (Susanne Braune), Ruth (Sabine Stofft), Rose (Elke Drewing), Cora (Daniela Mayer) und Elaine (Nicole Reißmeier). Frank Magener darf auch noch wie ein Hausmeister über die Bühne schlurfen, sich vernehmlich Gedanken machen und die vielen Stühle im Vereinsheim wieder ordentlich verstauen. Sogar dem Klavier weiß er etliche Töne zu entlocken.
Mit dem Thema „Freies Leben“ werden heutzutage offene Türen eingerannt; man genießt die „Frechheit“ ebenso wie das ästhetische Arrangement ohne moralischen Schaum vor dem Mund.
Das volle Haus spendete reichlichst Applaus – es wurde ja auch auf beste Art unterhalten.
Walther Prokop
OVB 5.11.2024