Ein Ehepaar trifft nach zehn Jahren auf dem Friedhof wieder zusammen, auf dem ihr Sohn begraben liegt. Der Boden ist verseucht und das Kind muss umgebettet werden. Diese Konfrontation bringt alte Wunden ans Licht und zeigt, wie der Verlust ihre Beziehung vergiftet hat. Das Ensemble des TAM OST führt das Stück „Gift“ von Lot Vekeman als Kammerspiel auf und präsentiert zutiefst menschliche Momente.
Rosenheim – Erst haben sie ihren Sohn verloren, dann sich selbst und schließlich einander – nach zehn Jahren sieht sich ein Ehepaar wieder, auf dem Friedhof, auf dem sie ihren tödlich verunglückten Sohn begraben mussten. Der Grund ihres Wiedersehens: Der Boden des Friedhofs ist verseucht, das tote Kind muss umgebettet werden. Doch das titelgebende „Gift“ des Stücks von Lot Vekeman bezieht sich nicht nur auf die kontaminierte Erde. Der Verlust, der schrecklicher nicht sein könnte, ist einst in ihre Beziehung eingesickert, hat ihre Beziehung, ihre Liebe vergiftet.„Ein Ehestück“, so lautet denn auch der weitere Titel des Stücks, das das Ensemble des TAM-OST als Kammerstück voller zutiefst menschlicher Momente zeigt.
Wiedersehen auf einem Friedhof
Das einstige Paar trifft in einem nüchternen Raum auf dem Friedhof zusammen. Als Bühnenbild reichen einige Stühle. Die beiden Protagonisten warten auf ihren Termin, doch niemand taucht auf. Jahrelang haben sie nichts voneinander gehört. Natürlich will man wissen, wie es dem anderen geht.
Klar wird: Die Verletzungen sind groß. Er (Oliver Schmid) hat sie nach dem Verlust des Kindes wortlos verlassen, sich ein neues Leben aufgebaut, ist wieder verheiratet, seine neue Frau erwartet ein Kind. Sie (Sabine Herrberg) ist noch immer in ihrer Trauer verfangen, sehnt sich nach Glück, wie sie behauptet, und will doch in ihrem Schmerz verharren. Alles andere käme ihr wie ein Verrat an ihrem toten Sohn vor. Und genau das wirft sie ihrem Ex-Mann vor. Doch auch er trauert, anders, vielleicht rationaler. Dass er auch noch begonnen hat, ein Buch über sich und seinen Verlust zu schreiben, ist für sie nicht zu ertragen.
Das zaghafte Annähern dauert nur ein paar Minuten bis zum ersten Streit. Sie tun, was Ehepaare nicht nur auf der Bühne eben tun: Sie machen einander Vorwürfe, sie versöhnen sich und streiten erneut, sie provozieren sich und lachen sich aus, machen einander Geständnisse, schreien sich an und erklären erklären.
Das Spiel mit den Stühlen
Bemerkenswert ist, wie die beiden Schauspieler die Bühne nutzen. Anfangs versucht sie, soviel Distanz wie möglich zwischen sich und den Ex-Mann zu bringen. So nimmt sie auf den am weitesten entfernten Stuhl Platz. Im Verlauf des Abends setzen sie sich näher zueinander, rücken zusammen, weichen aus, entfernen sich wieder voneinander. Manchmal scheint die Bühne zu klein für sie beide zu sein. Manchmal stehen die Stühle wie ein Schutzwall zwischen ihnen und einmal fliegen sie durch den Raum.
Der Text wirkt manchmal wie eine Versuchsanordnung über zwei Menschen, die mit ihrer Trauer völlig unterschiedlich umgehen. Sie hat sich bis zum letzten Atemzug ihres Sohnes ,als die Geräte im Krankenhaus abgeschaltet wurden, an ihn geklammert. Er hat den Tod des Sohnes herbeigesehnt, damit es endlich ein Ende hat. Sie hat ihre Trauer in eine Sucht verwandelt, auf deren Altar sie ihr Leben und ihr Glück geopfert hat. Er hat einen Neuanfang gemacht, den Sohn nicht vergessen, aber versucht sein Leben weiterzuleben.
Psychologisch schlüssig inszeniert
Regisseur Stefan V. Schmidt nimmt sich klug zurück, lässt dem Text seinen Raum und führt seine beiden Schauspieler drei Akte lang durch einen psychologisch schlüssig inszenierten Dialog. Und er vermeidet es dankenswerterweise, die komödiantischen Momente, die ganz vereinzelt in der tiefen Tragik aufblitzen, auszuwälzen. Die wenigen Lacher bleiben den Zuschauern rasch im Halse stecken.
Oliver Schmid ist breitbeinig und bodenverhaftet, offen wirkend, anfangs rational, abgeklärt –und zeigt sich im Lauf der Stückes doch ebenso verletzlich wie seine Ex-Frau. Als er, der immer vernünftig argumentiert, einmal einen emotionalen Ausbruch hat, schreit und weint, erfasst die Energie den ganzen Raum.
Sabine Herrberg dagegen sitzt mit durchgedrücktem Kreuz und zusammengepressten Knien auf ihrem Stuhl, eine Frau, die sich in ihrer Trauer verschanzt hat. Bitter ist sie, nervös, sarkastisch, manchmal irrational. Sie stichelt und kann nicht aufhören damit. Sabine Herrberg spielt sie eher hysterisch als depressiv, eine Figur, die sich selbst verloren hat.
Jedes Wort, jede Geste sitzt
Überhaupt ist eine Freude (ja, das Wort passt trotz des schweren Themas) den beiden beim Spielen zuzuschauen. Da sitzt nicht nur jedes Wort, da passt jede Geste, jeder Blick, jedes Haareraufen.
Das Ergebnis nach 90 Minuten Dialog? Niemand hat Recht, das Stück hat keine Moral. Oder vielleicht doch: Es gibt Dinge im Leben, die sich nicht ausdiskutieren lassen. Dennoch hilft das Reden darüber. So viel sei verraten: Die beiden gehen auseinander, nicht versöhnt, aber dennoch irgendwie im Guten. Damit endet ein ebenso bewegendes wie beeindruckendes Kammerspiel über die tiefste Tragik des Lebens.
Spieltermine
Gespielt wird an den Wochenenden bis 19. Oktober, jeweils freitags und samstags um 20 Uhr sowie sonntags um 17 Uhr. Kartenreservierungen direkt über die Webseite www.tam-ost.de, im Ticket-Zentrum Rosenheim am Busbahnhof Rosenheim oder direkt im TAM-OST Theaterbüro, donnerstags von 16 bis 19 Uhr erhältlich.