OVB, 08.04.2008
Gegen Ende seine Lebens, während der deutschen Besetzung Frankreichs, verfasste der französische Dichter und Diplomat Jean Giraudoux (1882 bis 1944) seine Komödie «Die Irre von Chaillot»
Damals wandte er sich gegen die Kollaborateure, gegen das Treiben der Spekulanten und Geschäftemacher im besetzten Paris. Heute, in Zeiten der Globalisierung, des weltweiten Spekulantentums und eines ungezügelten Kapitalismus ist das Stück mit seiner Kritik an der rücksichtslosen Gier nach Reichtum mehr denn je aktuell. Ganz einfach lässt Giraudoux die Welt von der alten Närrin Aurelie retten, indem diese alle verbrecherischen, gierigen Spekulanten auf Nimmerwiedersehen in der Unterwelt von Paris verschwinden lässt.
Regisseurin Renate Pröbstl und dem Ensemble gelang mit ihrer Inszenierung im Theater am Markt-Ost in Rosenheim ein über weite Strecken amüsant-poetisches Spiel mit schönen Bildern vor einer abstrahierten, nur mit den passenden, notwendigen Utensilien und ausgestatteten Bühne. Es war ein Spiel engagierter Amateure. Manche standen das erste Mal auf der Bühne. Auch die Anfänger machten ihre Sache gut, aber es fehlte wohl deshalb in manchen Szenen Schwung, die Intensität und Genauigkeit der Darstellung. Dadurch ergaben sich kleine Längen.
Giraudoux beeinflusste mit seiner Poesie, und seiner Mischung aus Witz und Tiefsinn spätere Dramatiker, wohl auch Friedrich Dürrenmatt und Jean-Pierre Jeunet den Regisseur des Film «Die fabelhafte Welt der Amelie». Manche Szenen ließen an Dürrenmatt und Amelie denken. Renate Pröbstl dachte auch an Michael Endes Roman «Momo». Die bösen Spekulanten marschierten wie die grauen Herren aus Endes Roman auf: mit weiß-graugeschminkten Gesichtern, grauen Zylindern und grauen Anzügen. Reiner Schmähling als skrupelloser Präsident, Gerhard Märkl als gewissenloser Baron, Gerhard Sellmair als schmieriger Makler und Ferno Biller als brutaler Prospektor gaben ein gar abgründig-verbrecherisches Quartett ab, das aus einer der bitterbösen Komödien Dürrenmatts zu entstammen schien.
Anders aber als bei Dürrenmatts Komödien, die immer die schlechtmöglichste Wendung nehmen, lässt Giraudoux seine märchenhafte Komödie positiv enden. Doch dieses scheinbar glückliche Ende ist nur ein unerfüllbarer Wunschtraum. So ist das Stück eigentlich ein pessimistisches, weil unmögliches satirische Märchen eines Optimisten. Den Verbrechern in den Anzügen stellt Giraudoux, die einfachen, braven Leute gegenüber, die unter ihnen zu leiden haben und sehen, wie die Welt von diesen erobert wird. Es sind der dienstfertige, einsilbige Kellner (Maximilian Schmetterer), der freundliche Polizist (Martin Schönacher), der philosophierende Lumpensammler (Carsten Schmidt), der abtrünnige Attentäter Pierre (Gerhard Schmid). Dazu kommt Sebastian Zollner als Lebensretter und Kloakenreiniger, der nicht als einziger bayerischen Dialekt sprechen müsste, nur weil er am untersten Ende der sozialen Skala steht.
Wandelbar zeigt sich Johanna Schumann als Blumenmädchen und Akkordeon spielender Straßensänger. Sie schafft mit flotten französischen Walzern Pariser Atmosphäre. Herauszuheben ist Anja Rajch als hübsche Geschirrspülerin Irmi mit ihrem immer präsenten, naiv-anmutigem Spiel, eine blonde Amelie Rosenheims. Dazu kommen die Irren, besser die Närrinnen, die in ihrer Fantasiewelt leben, sich ihre eigene Welt gestalten und erträumen. In Giraudouxs Märchen siegt diese Traumwelt gegen die böse Realität. Renate Mayer spielte Aurelie, die Irre von Chaillot, als liebenswerte Dame profimäßig sicher und mit ausgefeilter Sprache, aber ein wenig mehr Narretei im Auftreten und der Kleidung hätten ihr und dem Stück gut getan. Närrischer und deshalb publikumswirksamer waren da Valerie Waltenbauer als Constance, die Irre von Passy mit ihrem eingebildeten Hündchen an der leeren Leine, Sissi Behamer als Gabriele, die Irre von Saint Sulpice mit ihrem Schönheitsfimmel, und Marietta Maidl als Josephine, die Irre von La Concorde mit ihrer Napoleon-Puppe.