„Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza, eine Geschichte über die menschlichen Abgründe unter der glatten Alltagsoberfläche unserer Zeit. Auch wenn der Titel erst einmal etwas anderes vermuten lässt, ist das Stück eine pointenreiche Komödie.
Zwei Jungen haben sich im Park geprügelt. Ein Stock war im Spiel und Zähne gingen verloren. Die Elternpaare Véronique und Michel in ihrer Pariser Wohnung und ihre Besucher Annette und Alain führen ein Streitschlichtergespräch. Sie wollen die Beziehung zwischen den Söhnen wiederherstellen. Doch nach und nach drängen die Schwachpunkte der einzelnen Lebensläufe an die Oberfläche. Die Atmosphäre wird zunehmend aggressiver und somit ändert sich auch die Beurteilung der Tat des 11jährigen Ferdinand und der Opferrolle von Bruno.
Die eleganten Wohlstandsmasken der beiden Paare fallen, und bei diesem Krieg im Wohnzimmer wechseln unvermittelt und brutal auch die Koalitionen paarübergreifend. Wozu die lieben Kleinen erzogen werden sollen, dazu sind die Erwachsenen selbst nicht fähig. Aus Sticheleien werden Wortgefechte, aus Streitereien werden Handgreiflichkeiten, und der Nachmittag nimmt einen, gelinde gesagt, unangenehmen, für den Zuschauer aber höchst vergnüglichen Verlauf. Einzig Alain fühlt sich letztlich in seiner Weltanschauung bestätigt. Er habe immer an den „Gott des Gemetzels“ geglaubt.
Autorin Yasmina Reza verwischt mit diabolischem Humor, schneidender Rhetorik und furiosen Running Gags die Grenzen zwischen Zivilisation und Barbarei und unterhält damit das Publikum grandios.Weltberühmt wurde sie durch das Stück „Kunst“. Ihre von der Kritik und dem Publikum einhellig gefeierte Komödie „Der Gott des Gemetzels“ wurde in den Spielzeiten 2006 bis 2008 an über 60 deutschsprachigen Bühnen inszeniert und gehörte damit schon nach zwei Jahren zu den erfolgreichsten Theaterstücken der letzten Jahrzehnte.
„Der Gott des Gemetzels“ überzeugt im Rosenheimer TAM OST
Wenn in französischen Dramen, ob bei Molière, bei Sartre oder bei Anouilh, die Menschen in Lebens-, Schicksals- oder Existenzkatastrophen geraten, tun sie dies plaudernd und meist im Salon. Nicht anders ist es in den Stücken der derzeit meist gespielten Yasmina Reza. Auch für ihre Figuren gilt, was Jean Anouilh sagte: „Wir können uns beleidigen, verraten, massakrieren unter mehr oder weniger noblen Vorwänden, zu scheinbaren Größen aufblasen: Wir sind komisch.“ Und er fährt fort: „Und das ist am Ende noch schrecklicher als die grauenvollen Schilderungen unseres Nichts“.
Dies könnte auch über dem Stück von Yasmina Reza stehen, das jetzt im TAM OST Première hatte und das dieses Grauen auch im Titel hat: „Der Gott des Gemetzels“.
Darin wollen zwei Ehepaare sich völlig zivilisiert über das unterhalten, was ihre Söhne getan haben: Der eine hat in der Schule den anderen mit einem Stock verprügelt und ihm dabei zwei Schneidezähne herausgeschlagen. Eigentlich ein Fall für die Haftpflichtversicherung. Doch die gesellschaftliche Tünche blättert bald ab, im Verlauf des Gesprächs legen beide Paare ihre Lebenslügen bloß und gehen sich, nach reichlich Rumgenuss, verbal an die Gurgel. Aus dem zivilisierten Gespräch wird ein Ehegemetzel. Zwischendurch verbrüdern sich die Männer, verschwestern sich die Frauen. Und alle erkennen: „Anstand ist ein Unsinn, der einen schwächt.“ Der jeweilige Lebenstraum wird zum reinsten Alptraum.
Die Inszenierung verantwortet Hermann Kunz mit einer Regieassistenz (Gerhard Sellmair) und einer Hilfsassistenz (Agnes Austermaier). Um es gleich zu sagen: Die Inszenierung ist gelungen. Wer das Stück im Münchner Residenztheater gesehen hat, konnte auch dieser Inszenierung zustimmen. Das Grauen war komisch, die Komik im Grunde grauenvoll.
Zwei Einwände: Der Salon, dieses soziale Schlachtfeld, ist, obwohl behauptet und thematisiert, kein Salon, ähnelt eher einem Arztwartezimmer. Vier Bürostühle stehen verstreut, umrahmt von kleineren Bücherstapeln. Das ist für einen pariserisch-bürgerlichen Salon zu wenig, damit die Fallhöhe zu gering. (Bühne: Gabriela Schmidt und Ensemble).
Sofas, in denen man sich prätentiös fläzen oder sich verletzt zusammenrollen kann, eignen sich wesentlich besser. Und: Der furiose Schluss dürfte noch furioser, zerstörender, katastrophaler sein, was sich durch ein bisschen mehr Tempo erzielen lassen könnte. Da warten die Schauspieler zu sehr darauf, dass der andere fertig ist, bis sie dann drankommen. Je mehr Tempo, desto mehr Bosheit und mehr Bösheit.
Jo Schumann ist als die gastgebende intellektuelle Véronique eine der sozialen „Hüterinnen der Welt“ und schön nervtötend in ihrer gespielt-forschen dominierenden und leicht nöligen Höflichkeit, die mit ihrer volltönenden Stimme den Raum beherrscht und auch die Situation beherrschen will.
Ihren Gegenpart Annette spielt Silvia Jahn-Erbe als zunächst etwas verhuschte – was ihr weniger gelingt – , Vermögensberaterin, die später zur überzeugend tulpenzerreißenden Furie mutiert, die aber vor allem durch ihr technisch gut gespieltes Sich-Übergeben für vorantreibende Dramatik sorgt. Sie kotzt, zum Schrecken von Véronique, über den Kokoschka-Bildband, den ihr Mann mit einem Fön zu trocknen versucht. Später sitzt er, mit dem Fön in der Hand, auf die nächste Kotzattacke wartend, da: ein schönes Bild für den vergeblichen und auch lächerlichen Versuch, die buchstäblich ausbrechende Kreatürlichkeit sozial zu domestizieren.
Diesen Michel spielt Thomas Terpetschnig wirklich gut als männlichen, etwas frauendominierten Normalo, dessen unterschwellige Aggressivität leicht nach außen schnellt.
Er kann seine Pointen genauso gut setzen wie Stefan Hanus als Alain, ein kaltschnäuziger Macho-Zyniker mit einem John-Wayne-Männerbild, der dauertelefonierend die drei anderen nervt. Er spricht auch den titelgebenden Satz: „Ich glaube nur an den Gott des Gemetzels“, nicht an besänftigende soziale Gesprächskultur. Und er ist damit so grauenvoll wie komisch.
Donnerstags von 16 – 19 Uhr ist Frau Gabi Tachakor für Sie da
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