„Liebe ist nur ein Märchen”
Über das Leben der Prostituierten Rosemarie Nitribitt, deren Ermordung im Jahr 1957 für großes Aufsehen gesorgt hatte, gibt es zahlreiche filmische und literarische Bearbeitungen, denn zu ihrem Kundenkreis gehörten prominente Personen der bundesrepublikanischen High Society und der Mörder ist bis heute nicht gefunden.
So konnte vor kurzem das neue Stück „Der Fall Rosemarie Nitribitt“ im Rosenheimer TAM OST vor vollem Hause Premiere feiern.
Tragikomödie beginnt nach Ermordung
Dem Autor Alexander Zinn, der selbst die Regie führte, ist eine außergewöhnliche Bearbeitung des Stoffs gelungen: Die Tragikomödie beginnt gewissermaßen nach der Ermordung der Nitribitt (lasziv und überzeugend verkörpert durch Olivia Raclot), deren Leiche zum Leben erwacht und von außen die Ermittlungen beobachtet, kommentiert und sogar mit den einzelnen Figuren gedankliche Dialoge führt.
Dabei übernimmt der Zuschauer die Rolle des Ermittlers, weil er sich selbst von den Zeugenaussagen und den geäußerten Gedanken ein Bild machen kann.
Zinn hat den Werdegang der Nitribitt herausgearbeitet, indem er den um die Wahrheit bemühten Kriminalkommissar mit dem viel sagenden Namen Friedrich Brecht (Tobias Huber) die tragischen Lebensumstände wie die frühen Aufenthalte in Heimen oder die Tatsache, dass sie schon mit elf Jahren vergewaltigt worden ist, erfragen lässt.
Echte Liebe hat die Nitribitt wohl nie erfahren, denn „Liebe ist nur ein Märchen“, kommentiert sie Brechts Dialog mit seinem Polizeikollegen Peter Kuhn (Bernhard Henke), der von oben den Auftrag erhalten hat, den Täter im Rotlicht-Milieu zu finden, um den prominenten Kundenkreis herauszuhalten.
Die analytisch angelegte Kriminalhandlung in zwei Akten spielt durchgehend im Büro Brechts, angedeutet durch ein sparsam ausgestattetes Bühnenbild: ein Schreibtisch und ein paar Akten links, ein Sofa für die privaten Rückblicke in der Wohnung Nitribitts rechts, das „Wirtschaftswunder auf 70 Quadratmeter“.
Nacheinander treten die einzelnen Zeugen auf, deren unterschiedliche Charaktere und Funktionen von den Darstellerinnen und Darstellern markant herausgearbeitet wurden: zunächst die Prostituierte Irene Sandorn (Nicole Regina Reißmeier), die voller Neid und Eifersucht auf ihre ermordete Kollegin zurückblickt, dann die kleinbürgerliche und habgierige Zugehfrau Erna Krüger (Monique Nägele) sowie der Sensations-Journalist und Fotograf Mekki Bornacker (Gabriela Schmidt bravourös in einer Hosenrolle).
Delikate Kundenliste
Der Industrielle Harald Quandt (Christian Swoboda), Promi auf der Kundenliste der Nitribitt, erscheint als tragische Figur und erntet von seiner stolzen Frau Irene (Julia Plank) nur Verachtung: „Er ekelt mich an“, während sich der Hauptverdächtigte Heinz Pohlmann (treffend durch Oliver Heinke dargestellt) als zwielichtige Gestalt entpuppt…
Alles in allem eine spannende Gesellschaftssatire, die nicht nur die spießige Atmosphäre der Wirtschaftswunderzeit aufs Korn nimmt, sondern auch auf heutige Strukturen anwendbar ist. Auch kurzweilig ist die Aufführung, nicht zuletzt durch die schauspielerische Leistung aller Beteiligten.