ovb, 25.03.2014, von Margrit Jacobi
Original: http://www.ovb-online.de/rosenheim/kultur/tam-ost-das-opfer-helena-3424102.html
Die Kriegslust ist stärker
Die Kriegs- und Machtgelüste der Männer, sie sind nicht zu stoppen, weder durch sachliche Argumente, noch durch weibliche Schönheit und List. Wolfgang Hildesheimer schrieb 1955 das Hörspiel „Das Opfer Helena“ und arbeitete es 1959 um zum gleichnamigen Bühnenschauspiel. Des Autors Erfahrungen mit Hitler-Deutschland und dem zweiten Weltkrieg hatten ihn dabei stark beeinflusst. Er kritisiert durch Helena jede Kriegstreiberei. Aus ihrer Sicht beschreibt der Autor Teile des Troja-Stoffes.
Regisseur Stefan Vincent Schmidt erwählte sich das Stück für seine neue Inszenierung im Theater am Markt. In einer Kulisse, die in ihrer Reduziertheit die Aufmerksamkeit der Zuschauer völlig auf das Spiel der vier Schauspieler lenkt, erlaubt ein breiter Rahmen im hinteren Bühnenteil den Wechsel zwischen Erzählung und Geschehen.
Tritt Helena aus dem Rahmen vor ins Rampenlicht, so erfahren wir von ihr ihre Gedanken, ihr Fühlen und Planen. Sabine Herrberg demonstrierte überzeugend die legendäre Schönheit dieser Tochter des Zeus und servierte die geschliffenen, amüsanten wie gesellschaftskritischen Texte des Autors mit Charme, Erotik, Temperament und Überzeugungskraft.
Christian Domnick als ihr Gatte Menelaos stand ihr in seinem Spiel nicht nach, den von ihr beschriebenen Langweiler nahm man ihm aber nicht ohne weiteres ab, wies er doch spürbar Attribute eines charmanten Mannes auf.
Außer mit seiner Jugend konnte Florian Fuchs als scheuschüchterner Paris bei seinem Auftritt erst einmal nicht gegen ihn punkten. Gewiss kennt Helena alle Untugenden ihres machtgierigen Gemahls, durchschaut seine Pläne, sie als Mittel zum Zweck der Kriegsführung gegen Troja einzusetzen. Zugleich ist ihr jedoch jedes amouröse Abenteuer willkommen.
Kein Wunder, dass Hermione, ihre tugendhafte Tochter, ihr Verhalten missbilligt, und Pegah Meggendorfer gab glaubwürdig den völligen Gegenpart zur frivol-kecken Mama.
Das Spiel im Spiel erhält besonderen Reiz durch Helenas spitzzüngige Kommentare über die drei Personen um sie. Ihre Bemerkungen zu Machtgehabe, Kriegslust, sogenannter Moral und Verstellung weisen sie als kritische Beobachterin aus. Man kann dieser Frau einiges vorwerfen, nicht aber Unehrlichkeit. Offen steht sie zu ihrem Denken und Tun.
Nach höflich-zäher Konversation zu viert, geht sie zielstrebig daran, das Objekt ihrer Begierde zu erobern. Als begabte Verführerin umgarnt sie Paris, und Sabine Herrberg lockte und flirtete unwiderstehlich mit allen Reizen einer erotischen Frau. Gemäß ihrem Plan, will sie mit Paris fliehen, nicht aber nach Troja, sondern auf eine idyllische Insel, um den Krieg zu verhindern.
Nach der Pause gewann die Aufführung in jeder Beziehung an Fahrt. Helena und Paris, nun sichtlich ein Liebespaar, jagten in stürmisch-neckischen Spielen über die Bühne. Wie sexy einerseits und wie ernüchternd andererseits das Anlegen von Strümpfen beziehungsweise Socken sein kann, brachten Sabine Herrberg und Florian Fuchs köstlich zur Ansicht.
Jäh aber wechselte dann die Komödie zum Drama. Paris lässt seine Maske fallen, und Florian Fuchs machte in temperamentvollem agieren den Wandel vom Unschuldslamm zum machthungrigen Kriegstreiber sichtbar. Von ihm zerschmettert, bricht der Rahmen, der vormals das Geschehen umfriedete, auseinander. An einen Schiffsbalken gefesselt, erlebt Helena entsetzt, dass nichts mehr den trojanischen Prinzen Paris unterscheidet von Menelaos, dem König Spartas.
Als wilden Zweikampf beider in Blitze durchzucktem Spektakel inszenierte Regisseur Schmidt das Kriegsgeschehen zwischen Troja und Sparta. Erschöpft resümiert Menelaos am Ende, dass Sparta gesiegt, aber dabei alles verloren hat. Brutal schleudert und schleift er Helena, die „Kriegsbeute“ über die Bühne.
Sie hatte ihn damals gewarnt: „Ein Krieg hat keine Sieger“. Illusionslos erkennt Helena, dass nichts sich ändern wird im Machtbestreben von Herrschern. Führte der Regisseur im ersten Teil seiner Inszenierung weibliche List und Liebeslust gegen männliche Besitzgier vor, so deckte er im zweiten Teil schonungslos die Sinnlosigkeit von Kriegen auf.
Alle seine Darsteller beeindruckten dabei in starkem Spiel und durften sich am Schluss mit ihrem Regisseur über die großen und lang anhaltende Beifallsbekundungen des Premienpublikums freuen.