Maria: „Wussten Sie da bereits, dass es Ihr Bruder war?“
Martha: „Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, es war ein Missverständnis. Und wenn Sie die Welt ein bisschen kennen, wird Sie das nicht wundern.“
Es menschelt gewaltig in Camus´ schaurigem Schauspiel um die Sinnlosigkeit des Lebens, die Liebe und die Sehnsucht nach dem Glück.
Das schlechte Gewissen lässt den reichen Jan nach vielen Jahren ins abgelegene Gasthaus der Eltern zurückkehren. Sich selbst sieht er als Glückes Schmied für Mutter und Schwester und will ihnen ihre Wünsche von den Augen ablesen. Doch fatalerweise verwechselt er gutmeinende Manipulation mit aufrichtiger Menschenliebe.
Er wird seinen Hochmut büßen müssen, denn beide morden reiche Gäste, um zu überleben. Schon seit langem tötet die Alte nur noch mechanisch: „Die Gewohnheit beginnt beim zweiten Verbrechen. Beim ersten beginnt nichts – da hört etwas auf.“ Und so wächst die Tochter zur Mittäterin heran: „Ich dachte, das Verbrechen sei unser Heim und würde meine Mutter und mich auf ewig binden. An wen auf der Welt sollte ich mich halten als an diejenige, die gemeinsam mit mir getötet hat?“
Nichts für schwache Nerven – dieses ewige, grausig-schöne und vielschichtige Spiel um den Sinn des Lebens. (Text: Maleen Schultka)
Gott ist unendlich fern im Stück „Das Missverständnis“ von Albert Camus, einem bekennenden Atheisten, der das Leben als sinnloses Gefüge betrachtete.
Der Nobelpreisträger schrieb das Werk von elementarer Wucht, das die Dämonen loslässt, 1941 während des Zweiten Weltkrieges, in dem er selbst in Frankreich Widerstandskämpfer war. Regisseur Stefan Vincent Schmidt hat es jetzt für das Theater am Markt inszeniert.
Dicke Seile umrahmen die Bühne. Ein riesiger Keil in Grau und Weiß diagonalisiert den Bühnenboden. Im Hintergrund symbolisiert blaues Licht, das durch dünne Vorhänge leuchtet, ein ersehntes, weit entferntes Meer. Mutter (Sabine Herrberg) und Tochter Martha (Jutta Schmidt) sprechen zu Beginn über einen neu eingetroffenen Gast, den sie, wie viele vorher, erst betäuben, dann ausrauben und in den Fluss werfen wollen. So versuchen sie, die desolate Situation ihres schlecht besuchten Hotels aufzubessern. Kalkweiß geschminkt sind ihre Gesichter. Emotionslos und meist monoton ist die Stimme der Tochter. Von Erschöpfung gezeichnet und von Zweifeln geplagt wünscht sich die alte Mutter Ruhe. „Töten ist anstrengend“ erwidert sie der Tochter, die hart und ohne Erbarmen das Töten fordert. Musik von Ligeti in illusionären melodisch rhythmischen Klängen begleitet die erste Szene.
Eines Tages kommt der lange abwesende Sohn Jan (Oliver Männer) zurück. Er gibt sich, entgegen dem Rat seiner Frau Maria (Mirjam Bertagnolli) nicht zu erkennen, in der Hoffnung, erkannt zu werden, und um zu sehen, wie er helfen kann. Aber sie erkennen in dem neuen Gast nicht den Sohn und Bruder, sie sehen in ihm nur das lukrative Opfer.
Im Hintergrund geht während des ganzen Geschehens immer wieder der Knecht (Helmut Meier) vorbei, als Symbol für den Mechanismus des Zufalls und für die Unbarmherzigkeit der Handlung in dieser absurden Tragödie.
Als Jan allein ist, erklärt ihm (Anm.d.Red.: die ihn nicht erkennende Schwester) Martha in harscher Rede: „ Hier werden Sie nichts finden, was menschlicher Nähe ähnelt.“ Weiter knüpft sie die Seile und zieht sie nun auch über die Front zum Publikum. Wie eine Spinne umgarnt sie ihr Opfer. Mit brutaler Härte beharrt sie darauf, das grausame Tun am heutigen Abend zu verrichten, als die Mutter um Aufschub bittet. Martha will endlich ans Meer, in eine heiße Sonne, die alle Vergangenheit verbrennt. Jan überfallen Zweifel, doch er nimmt den angebotenen Schlaftrunk zu sich.
Am nächsten Morgen, als das Verbrechen geschehen ist, bringt der Knecht den Pass des Fremden. „Ich werde ihn am Grund des Meeres suchen gehen“ sagt die Mutter. „Wenn eine Mutter nicht fähig ist, ihren Sohn zu erkennen, hat sie ihre Rolle auf der Erde ausgespielt. Ich habe die Freiheit verloren, für mich beginnt die Hölle!“
Grandios und erschütternd bringt Sabine Herrberg das Ausbrechen der lang erstarrten Gefühle zum Ausdruck. Ihr Herz hat die Sprache wiedergefunden. Sie verlässt die Tochter, die zu lieben sie aufgehört hat und geht zu ihrem Sohn. Martha aber verharrt in ihrem Hass. Als Maria kommt, ihren Mann zu finden, berichtet ihr Martha eiskalt und erbarmungslos, was geschah. „Es war ein Missverständnis. Ich dachte, das Verbrechen sei meine Heimat, alles war ein Irrtum. Ihre Tränen widern mich an“ sagt sie, als Maria zusammenbricht. Die kann am Ende zu Gott beten und von ihm Mitleid erflehen.
Aus der Absurdität des Zufalls entsteht in diesem Stück eine höhnische Groteske, die Stefan Vincent Schmidt großartig inszeniert hat. Er hat ein Glanzstück im Repertoire des TAM OST geschaffen, das Zeichen setzt.
Die Hochachtung gilt allen seinen Schauspielern, die beeindruckend agieren, allen voran Sabine Herrberg mit ihrem subtilen Spiel. Ebenso glänzt Jutta Schmidt in ihrer Rolle der gefühllosen Tochter. Oliver Männer als Jan ist eine stimmige Entsprechung, und Mirjam Bertagnolli berührt als aufrichtig lebende und liebende Maria.
Donnerstags von 16 – 19 Uhr ist Frau Gabi Tachakor für Sie da
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