ovb 31.10.2007, Margrit Jacobi
Ein Gretchen mit Latzhose und Rollerblades
Als erstes flimmert in der Verfilmung von Goethes «Faust» die bekannte Szene mit Gustav Gründgens in seiner legendären Rolle als Mephisto und Will Quadflieg als Faust über die Leinwand im Rosenheimer TAM OST: Beide bringen heimlich ein Schmuckkästchen in Gretchens Kammer. Genau um diese so genannte Kästchen-Szene geht es in Lutz Hübners Theaterkabarett „Gretchen 89 ff.“, das Klaus Einsele mit Daniela Mayer und Alexander Schoenhoff für das Theater am Markt inszenierte.
Das Publikum darf teilhaben an immer neuen Konstellationen von Regisseuren und Schauspielerinnen beziehungsweise Schauspielern auf einer Probebühne, stets zum gleichen Thema, doch mit überraschenden Interpretationen und urkomischen Darstellungen. Wunderbar treffend und höchst amüsant werden die unterschiedlichen Typen von Regisseuren präsentiert.
Da ist der Schmerzensmann, der alle Schauspieler hasst, wie sich selbst. Er raucht Kette und sucht das Extreme. Er verlangt von seiner Gretchen- Darstellerin fleischliches Denken und das Überschreiten der Schmerzgrenze. «Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles, diesen berühmten Satz, kotzt du den Aboschweinen auf die Jacke!» fordert dieser Fanatiker von seiner Schauspielerin.
Der nächste, ein alter Haudegen, verliert sich während des Gretchen Monologs ständig in Erinnerungen früherer Bühnenerlebnisse, schluckt dazu Pillen, nimmt Augentropfen, aber seiner Darstellerin unaufhaltsam jegliche Möglichkeit in die Rolle zu kommen. Nicht besser ergeht es ihr mit dem Lebenskünstler, dem Wiener Schalk mit Bluthochdruck und Fettleibigkeit. Bei ihm wird alles zum Geplänkel eines Heurigen-Abends. Er spielt vor und lässt Gretchen im Walzerschritt auftreten.
Zum Niederknien komisch wie Daniela Mayer seinen Regieanweisungen nachkommt, herrlich überspielt und schau an: Gretchen spricht auf einmal Wienerisch! Köstlich auch der «Streicher» den Alexander Schoenhoff in Berliner Jargon höchst vergnüglich mit seiner Partnerin in Szene setzt. Am Ende bleiben nur noch Text-Fragmente für eine vor Zorn schmallippig gewordene Darstellerin.
Dem Freudianer in Ledermantel und mit I-Pod am Ohr ist der Text scheißegal, er braucht Gefühle, die er durch Provokationen schüren will. Bei ihm gehts hier um Sex, das Kästchen sieht er als phallisches Symbol.
Das Beispiel einer Schauspiel-Anfängerin ist eine Glanznummer von Daniela Mayer. Wenn sie in Latzhose mit Rollerblades auf die Bühne stürmt, ihre mimisch und akustisch hinreißenden Stimmübungen zum Besten gibt, agiert wie bei den Kiefersfeldener Ritterspielen, bleibt kein Auge trocken.
Ebenso gelungen dann ihre Verkörperung der Diva, die mit Arroganz und Süffisanz auch den geduldigsten Regisseur zum Verzweifeln bringt, oder die neiderfüllte Akteurin, die mit bissigen Bemerkungen den Erfolg der Kollegen kommentiert.
Am Ende darf Alexander Schoenhoff zum Vergnügen des Publikums noch in die Gretchen-Rolle schlüpfen und sich Daniela Mayer als abgehobener Dramaturg den Traum vom Inszenieren erfüllen.
Soviel Spaß hat man lange nicht mehr erlebt, wie bei dieser famosen Regiearbeit von Klaus Einsele und der hinreißenden Darstellung von Daniela Mayer und Alexander Schoenhoff. Wer es noch nicht gesehen hat: Hingehen und sich köstlich amüsieren!
echo 30.10.2007, Margrit Jacobi
„Faust“ einmal anders
Die bekannte „Kästchen-Szene“ aus Goethes Klassiker „Faust“ einmal ganz anders zu erleben, dieses Vergnügen können zur Zeit die Besucher von „Gretchen 89 ff“ im TAM OST in Rosenheim erleben.
Klaus Einsele hat das amüsante Theaterkabarett von Lutz Hübner, der selbst Schauspieler ist, für die Bühne des Theaters am Markt mit Daniela Mayer und Alexander Schoenhoff höchst gelungen inszeniert.
Bei vielfachen Theaterproben mit Regisseuren verschiedener Charaktere und Schauspielerinnen von der Anfängerin bis zur Diva, bekommt der Zuschauer Einblick ins Geschehen vor der Première.
Vom Schmerzensmann, der die Extreme sucht, sich und alle Schauspieler hasst, über den alten Haudegen und Hypochonder, der nur in Erinnerungen schwelgt, seine Aktrice nicht zu Wort kommen lässt und damit zur Verzweiflung treibt, weiter zum fettleibigen Wiener, einem Lebemann, der seiner Darstellerin Walzerschritt und Theatralik beim Auftritt verordnet, dem Streicher, der sein Gretchen mit Wortfragmenten verstört, bis zum Freudianer, für den der ganze Faust aus Sex und Phallussymbolen besteht.
Alexander Schoenhoff schlüpft nahtlos von einer Figur in die nächste und gestaltet sie alle gekonnt und urkomisch. Daniela Mayer setzt die Schauspielanfängerin mit Stimmübungen, Enthusiasmus und Unbedarftheit herrlich in Szene, ebenso gelungen die exaltierte Diva, die frustrierten, empörten, überforderten und verzweifelten Darstellerinnen. Wenn am Ende gar Alexander Schoenhoff zum „neutralen“ Gretchen und Daniela Mayer zum überheblichen Dramaturgen in seiner Erstinszenierung wird, glucksen die Zuschauer vor Vergnügen.
Klaus Einsele und seinen famosen Schauspielern ist etwas gelungen, was heute eher selten auf unseren Bühnen stattfindet: Das Publikum hat sich von Beginn bis zum Schluss köstlich amüsiert! Wer mal wieder von Herzen lachen will, der sollte dieses Theaterkabarett keinesfalls versäumen.